LG Berlin: Klage wegen Arzneimittelhaftung (Duogynon) abgewiesen
Das LG Berlin hat die Klage gegen die die Rechtsnachfolgerin des Duogynon-Herstellers wegen Verjährung möglicher Schadensersatzansprüche abgewiesen (LG Berlin, Urt. v. 05.07.2012 - 1 O 60/11, Jurisnachricht). Der Kläger hatte Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 EUR sowie die Feststellung einer weitergehenden Haftung für künftige Schäden verlangt.
Mit Urt. v. 11.01.2011 - 7 O 271/10, BeckRS 2011, 00997, hatte das LG Berlin bereits die Klage auf Auskunft wegen Verjährung abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hatte das Kammergericht als unzulässig verworfen (KG, Beschl. v. 11.07.2011 - 22 U 41/11, BeckRS 2012, 09880). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte die Berufungsbegründungsschrift am Tag des Fristablaufs nicht an das Kammergericht, sondern an das Landgericht Berlin gefaxt bzw. faxen lassen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wurde vom Kammergericht zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg (BGH, Beschl. v. 27.03.2012 - VI ZB 49/11, NJW-RR 2012, 744).
Hintergrund: Der Auskunftsanspruch nach § 84a Arzneimittelgesetz (AMG)
Mit dem Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetz 2002 wurde der Auskunftsanspruch des potenziell durch ein Arzneimittel Geschädigten im AMG verankert. Der Anspruch richtet sich zum einen gegen den pharmazeutischen Unternehmer, § 84a Abs. 1 AMG, und zum anderen gegen die Zulassungs- und Überwachungsbehörden, § 84a Abs. 2 AMG.
Außerdem wurden mit der in § 84 Abs. 2 AMG aufgenommenen Kausalitätsvermutung Beweiserleichterungen für potenziell Geschädigte geschaffen. Dabei wird die Kausalität zwischen Arzneimittelanwendung und Schaden vermutet, wenn das Arzneimittel geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Die Bewertung dieser Eignung erfolgt im Einzelfall und richtet sich nach Zusammensetzung und Dosierung des angewendeten Arzneimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungsgemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schadenseintritt, nach dem Schadensbild und dem gesundheitlichen Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen. Wenn ein anderer Umstand nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen, gilt die gesetzliche Kausalitätsvermutung nicht. Die Anwendung eines weiteren Arzneimittels, das den Schaden verursacht haben könnte, kann allerdings nicht zum Entkräften der Kausalitätsvermutung herangezogen werden. Die Kausalitätsvermutung gilt nur für Schäden, bei denen das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist, Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB.
Für den Auskunftsanspruch gibt es im Gegensatz dazu keinen Stichtag. Dieser besteht also unabhängig davon, wann das schädigende Ereignis eingetreten ist. Ein Auskunftsanspruch entfällt allerdings, wenn am Stichtag über den Schadensersatz durch rechtskräftiges Urteil entschieden war oder Arzneimittelanwender und pharmazeutischer Unternehmer sich über den Schadensersatz geeinigt hatten.
Der Auskunftsanspruch richtet sich gegen den pharmazeutischen Unternehmer, also denjenigen, der Zulassungsinhaber ist, oder das Arzneimittel unter seinem Namen in Verkehr gebracht hat (zum Beispiel Mitvertreiber).
Ein Auskunftsanspruch besteht nicht, wenn dieser zur Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG besteht, nicht erforderlich ist. Dies wäre der Fall, wenn lediglich eine unerhebliche Schädigung vorliegt oder lediglich ein Vermögensschaden geltend gemacht wird, für den nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AMG kein Schadensersatz zu leisten ist. Treten beispielsweise bei einem Arzneimittel zur Therapie einer lebensbedrohlichen Erkrankung als Nebenwirkung Kopfschmerzen auf, die in der Packungsbeilage auch als Nebenwirkung beschrieben wurden, ist ein Schadensersatzanspruch nicht plausibel und es besteht hier kein Auskunftsanspruch.
Inhalt des Auskunftsanspruchs
Der Geschädigte soll durch den Auskunftsanspruch in die Lage versetzt werden, alle bekannten Tatsachen zu erfahren, die für die von ihm darzulegenden und zu beweisenden Anspruchsvoraussetzungen eines Haftungsprozesses notwendig sind. Demzufolge umfasst der Auskunftsanspruch die dem pharmazeutischen Unternehmer bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weitere Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können.
Der Auskunftsanspruch beinhaltet kein Akteneinsichtsrecht. Der potenziell Geschädigte hat also lediglich ein Recht darauf, dass die von ihm gestellten Fragen schriftlich beantwortet werden. Geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse muss der pharmazeutische Unternehmer allerdings nicht preisgeben. Außerdem umfasst das der Auskunftsanspruch nur bekannte Tatsachen. Der Unternehmer wird durch § 84a AMG nicht verpflichtet, bislang nicht bekannte Informationen erst zu beschaffen oder gar bestimmte Tests durchzuführen.
Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Auskunftsanspruch kein Ausforschungsanspruch sein. Im Einzelnen umstritten ist oftmals, wie umfangreich der Tatsachenvortrag des Anspruchsstellers zur Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs sein muss. Nach der Rechtsprechung reicht ein unbestimmter Verdacht nicht aus. Allerdings muss der Geschädigte im Verfahren um den Auskunftsanspruch auch nicht den Beweis der Kausalität führen. Dem Richter obliegt insoweit eine Plausibilitätsprüfung. Die ernsthafte Möglichkeit eines Zusammenhangs reicht für den Auskunftsanspruch aus. Bestimmte Voraussetzungen, wie den Eintritt des Schadens oder die Einnahme des Arzneimittels muss der Geschädigte allerdings belegen. Dies kann beispielsweise durch Krankenunterlagen und Vorlage der Rezepte erfolgen. In keinem Fall soll die Darlegungslast soweit gehen, dass der Geschädigte bereits im Verfahren um den Auskunftsanspruch Sachverständigengutachten vorlegen oder als Beweis anbieten muss.
Der Auskunftsanspruch gegenüber Behörden
Unter den gleichen Voraussetzungen besteht ein Auskunftsanspruch gegenüber den zuständigen Zulassungs- und Überwachungsbehörden. Dies sind je nach Art des Arzneimittels das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder das Paul-Ehrlich-Institut sowie die nach Landesrecht zuständigen Überwachungsbehörden.
Der Auskunftsanspruch hat die Situation potenziell Geschädigter im Arzneimittelhaftungsprozess deutlich verbessert. Der Anspruch darf allerdings nicht zur Ausforschung missbraucht werden.
Text aus: Jäkel, Haftung für Arzneimittelschäden: Hintergrundinfo - Der Auskunftsanspruch potentiell Geschädigter nach § 84a AMG, Legal Tribune ONLINE (Wolters Kluwer Deutschland GmbH in Kooperation mit der SPIEGEL ONLINE GmbH)
Nachdruck in: Jäkel, Haftung für Arzneimittelschäden - Der Auskunftsanspruch des Geschädigten, PaPfleReQ 2011, 21-22