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EuGH zur Kausalität bei möglicher Produkthaftung für Impfstoffe

EuGH zur Kausalität bei möglicher Produkthaftung für Impfstoffe
(Donnerstag, 22. Juni 2017)

Der EuGH hat am 21.06.2017 zur Beweislast gemäß Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG bei fehlerhaften Impfstoffen entschieden.

Urteil vom 21.06.2017 - Rs. C-621/15

Rechtsrahmen

Art. 1 der Richtlinie 85/374 lautet:

„Der Hersteller eines Produkts haftet für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist.“ 

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 lautet: 

„Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

a) der Darbietung des Produkts,

b) des [Gebrauchs] des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

c) des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde,

zu erwarten berechtigt ist.“  

Die Beweislastregel des Art. 4 der Richtlinie 85/374/EWG lautet:

"Der Geschädigte hat den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen."

Zum Sachverhalt

Einem Patienten in Frankreich wurden zur Impfung gegen Hepatitis B drei aufeinanderfolgende Injektionen mit einem Impfstoff verabreicht (Dezember 1998, Januar 1999, Juli 1999).

Von August 1999 an traten bei diesem Patienten verschiedene Symptome auf, die im November 2000 als  Multiple Sklerose diagnostiziert wurden. In der Folge trat nach Erwerbsunfähigkeit 2001 und weiterer Verschlechterung des Zustands bis  zu einer funktionellen Schädigung von 90 % im Jahr 20011 der Tod ein.

Da es keine Vorerkrankungen gab, schuldigte die Familie wegen des zeitlichen Zusammenhangs den Impfstoffhersteller Sanofi Pasteur an, für das Auftreten der Multiplen Sklerose verantwortlich zu sein.

Die Entscheidung

Art. 4 der Richtlinie 85/374 steht einer nationalen Beweisregelung nicht entgegen, wonach das Tatsachengericht, wenn es wegen des behaupteten Fehlers eines Impfstoffs mit einer Haftungsklage gegen dessen Hersteller befasst ist, in Ausübung seiner Befugnis zur Beweiswürdigung annehmen kann, dass trotz der Feststellung, dass ein Zusammenhang zwischen der Verabreichung des betreffenden Impfstoffs und dem Auftreten der Krankheit, an der der Geschädigte leidet, von der medizinischen Forschung weder bewiesen noch widerlegt wird, bestimmte vom Kläger geltend gemachte Tatsachen ernsthafte, klare und übereinstimmende Indizien darstellen, die den Schluss auf das Vorliegen eines Fehlers des Impfstoffs sowie auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesem Fehler und der Krankheit zulassen. Die nationalen Gerichte haben gleichwohl dafür Sorge zu tragen, dass die von ihnen vorgenommene konkrete Anwendung dieser Beweisregelung weder zur Missachtung der mit Art. 4 eingeführten Beweislast noch zu einer Beeinträchtigung der Wirksamkeit der mit der Richtlinie eingeführten Haftungsregelung führt. 

Art. 4 der Richtlinie 85/374 steht einer auf Vermutungen beruhenden Beweisregelung entgegen, wonach dann, wenn in der medizinischen Forschung ein Zusammenhang zwischen der Verabreichung des Impfstoffs und dem Auftreten der Krankheit, an der der Geschädigte leidet, weder nachgewiesen noch widerlegt ist, ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Fehler, der einem Impfstoff zugeschrieben wird, und dem Schaden, den der Geschädigte erlitten hat, stets als bewiesen anzusehen wäre, wenn bestimmte im Voraus festgelegte tatsächliche Indizien für eine Ursächlichkeit vorliegen.

Zu den Gründen

Der EuGH lehnt eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität ab. Der Geschädigte muss mindestens die Indizien darlegen, 

"die es zusammen genommen dem mit der Sache befassten Gericht gegebenenfalls erlauben, seine Überzeugung bezüglich des Vorliegens eines Fehlers des Impfstoffs und eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen diesem Fehler und dem erlittenen Schaden zu stützen."

Damit ist zweifelhaft, ob die deutsche Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG vor dem EuGH Bestand haben würde.  

Allerdings betont der EuGH, dass eine Beweisregelung, die jeglichen Rückgriff auf eine indiziengestützte Beweisführung ausschlösse und für die Erfüllung der Beweislast nach Art. 4 der Produkthaftungsrichtlinie vorsähe, dass der Geschädigte einen aus der medizinischen Forschung hervorgehenden sicheren Beweis für das Vorliegen einer Kausalität zwischen dem dem Impfstoff zugeschriebenen Fehler und dem Auftreten der Krankheit beizubringen habe, angesichts des Umstands, dass in der medizinischen Forschung ein Zusammenhang zwischen der Verabreichung des Impfstoffs und dem Auftreten der Multiplen Sklerose weder nachgewiesen noch widerlegt ist, die sich aus der Produkthaftungsrichtlinie ergebenden Anforderungen verkennen würde.

Eien nationale Beweisregelung zu Lasten des Herstellers, die nicht stichhaltige oder unzureichende Beweise ausreichen ließe, ist auf der anderen Seite auch nicht zulässig.

So könnte die Beweislast auch missachtet sein, wenn die nationalen Gerichte eine Beweisregelung in einer Weise anwendeten, dass beim Vorliegen einer oder mehrerer Arten bestimmter tatsächlicher Indizien vorab und automatisch vermutet würde, dass ein Fehler des Produkts und/oder ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem Fehler und dem Auftreten des Schadens vorhanden sei. Unter solchen Umständen könnte sich der Hersteller also, noch bevor die Tatsachengerichte von den Gesichtspunkten für die Beurteilung, über die er verfügt, und die von ihm vorgebrachten Argumente Kenntnis erlangt haben, in der Lage wiederfinden, diese Vermutung widerlegen zu müssen, um der Klage erfolgreich entgegenzutreten.

Auch das spricht  gegen die Rechtmäßigkeit der ohne weiteres gewährten deutschen Kausalitätsvermutung gemäß § 84 Abs. 2 AMG.

Zusammenfassung

Der EuGH ändert im Ergebnis nichts an der Beweislastregel des Art. 4 der Produkthaftungsrichtlinie.

Allerdings kann der Geschädigte den Beweis unter Umständen auch anhand von Indizien erbringen.

In Abwägung der Verbraucherrechte und der Rechte der Hersteller erteilt der EuGH einer generellen Beweislastumkehr mit bestimmten im Voraus festgelegten tatsächlichen Indizien für eine Ursächlichkeit eine Absage.

Damit dürfte die - rechtlich ohnehin zweifelhafte - Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG in der derzeitigen Fassung bei einem Verfahren vor dem EuGH keinen Bestand haben.