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BGH - Großer Senat: Vertragsärzte weder Amtsträger noch Beauftragte der Kassen

BGH - Großer Senat: Vertragsärzte weder Amtsträger noch Beauftragte der Kassen
(Freitag, 22. Juni 2012)

Vertragsärzte (Kassenärzte) sind weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen. Diese Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs wurde heute veröffentlicht. Vertragsärzte können sich daher weder wegen Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit (§§ 331 ff. StGB) strafbar machen noch wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB).

BGH, Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11 –, BGHSt 57, 202-218

Nach dem Sachverhalt wurde eine Pharmareferentin wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr verurteilt, da sie ein Prämiensystem für Vertragsärzte etabliert hatte, nach dem die Ärzte 5 % des Herstellerabgabepreises für Verordnungen erhielten.

Die Frage nach einer Strafbarkeit in diesen Konstellationen (BGH, Vorlagebeschluss vom 20.07.2011 - 5 StR 115/11) hat der Große Senat mit überzeugenden Gründen verneint. Ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt handelt bei der Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V, hier: Verordnung von Arzneimitteln) weder als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB.

PRAXISTIPP siehe unten:

Die wesentlichen Argumente sind im Folgenden zusammengefasst:

1. Vertragsarzt kein Amtsträger

Die Krankenkassen sind zwar Stellen der öffentlichen Verwaltung, der einzelne Vertragsarzt nimmt aber keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr:

  • Der Vertragsarzt ist freiberuflich und nicht in eine hierarchische Struktur integriert.
  • Bestimmend ist das Arzt-Patienten-Verhältnis mit persönlichem Vertrauen und die einer Bestimmung durch die Krankenkassen entzogene Gestaltungsfreiheit.
  • Regelungen wie die Arzneimittel-Richtlinie konkretisieren zwar Leistungsansprüche der Versicherten, der Arzt unterliegt aber primär den Verpflichtungen des § 1 Bundesärzteordnung.
  • Zwischen Vertragsarzt und Patient besteht ein zivilrechtlicher Behandlungsvertrag. Schadensersatzansprüche richten sich nicht nach den Amtshaftungsgrundsätzen.

2. Vertragsarzt kein Beauftragter der Krankenkassen

  • Das gesetzliche Konzept sieht ein gleichgeordnetes Zusammenwirken von Ärzten und Krankenkassen vor (Gesamtverträge).
  • Der Behandlungsvertrag entsteht aufgrund der freien Arztwahl zufällig, die Krankenkassen haben darauf keinerlei Einfluss.
  • Die Auswirkungen der Arzneimittelverordnung bei den Krankenkassen ändern nichts an dieser Auffassung:
  • Der Apotheker hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkassen, der sich nach den Verträgen über die Arzneimittelversorgung gerichtet. Der Vertragsarzt ist dabei kein Vertreter der Krankenkassen.
  • Die Rechtsmacht des Vertragsarztes zur Konkretisierung des Anspruchs des Versicherten ist eingeschränkt, da er lediglich die medizinischen Voraussetzungen des Versicherungsfalles feststellt (aus der Diagnose) und die erforderliche Therapie ableitet. Die Leistungspflicht der Krankenkasse ist nur ein reiner Reflex. Die Reichweite der Leistungspflicht der Krankenkassen wird durch Verträge, Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses etc. konkretisiert.
  • In vielen Fällen hat der Apotheker die Auswahl des Arzneimittels in der Hand (Aut idem).
  • Zwar unterliegt der Arzt dem Wirtschaftlichkeitsgebot, überprüft werde dies aber nicht unmittelbar im Verhältnis zur Krankenkasse. Vielmehr werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen über gemeinsame Prüfungsstellen und Beschwerdeausschüsse verwirklicht.

Eine entsprechende Frage ist zum Bereich der Hilfsmittelversorgung beim Großen Senat anhängig (BGH, Vorlagebeschluss vom 05.05.2011 - 3 StR 458/10). Diese dürfte genauso zu beantworten sein.

PRAXISTIPP: Entgegen mancher Darstellung in der Tagespresse ist die Zahlung einer Vergütung als Gegenleistung für die Verordnung bestimmter Arzneimittel rechtlich auch unzulässig, wenn sie nicht dem Strafrecht unterfällt. Derartige Verhaltensweisen sind sowohl nach dem Berufsrecht der Ärzte, dem SGB V und dem Heilmittelwerberecht verboten. Jedes der genannten Rechtsgebiete bietet ausreichend Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen.